Kognitive Therapie

1. Theorie

Kognitive Therapie ist ein Teilgebiet der Verhaltenstherapie, die sich zwar wesentlich auf die Kognitionen konzentriert, in der Diagnostik aber auch alle anderen Bereiche aus der Lebenssituation eines Patienten umfaßt und in der Therapie berücksichtigt (Problemanalyse, Verhaltensanalyse).

Eine Kernaussage der kognitiven Verhaltenstherapie ist:
Obwohl jeder die Welt etwas anders erlebt, besteht im allgemeinen ein gewisser Konsens in der Wahrnehmung der Dinge. Eine Kaffeetasse ist für den einen eine Kaffeetasse und für den anderen auch. Wenn ich sie fallen lasse, ist der eine vielleicht froh, daß das blöde Ding endlich kaputt ist, während der andere fast in Ohnmacht fällt, weil sie das einzige Erbstück seiner Großtante ist. Vielleicht glaubt er sogar, ich hätte sie extra fallen lassen, um bei ihm einen Herzinfarkt zu provozieren, denn es will ihm ja jeder ans Leben (siehe „Geschichte vom Hammer“). Irgendwann verläßt er so den allgemeinen Konsens der Wahrnehmung und gilt als „verrückt“. Hier verändern sich nicht die Dinge selbst, sondern die Bewertungen.

Diese Bewertungen sind zentraler Gegenstand der Therapie. Sie entstehen aus kognitiven Prozessen wie Wahrnehmungen, Erwartungen, Anspruchshaltungen, Interpretationen und Vorwegnahmen als das subjektiv gefärbte Abbild der Welt des Patienten, also als das, wie er sich selbst und seine Umgebung erlebt (siehe "Geschichte vom Hammer").

Jeder Mensch trägt quasi eine mehr oder weniger stark gefärbte Brille, durch die er sich selbst und seine Umwelt betrachtet. Die Färbung dieser Brille entsteht aktuell durch die gegenwärtige konkrete Lebenssituation (die „rosarote Brille“ von Verliebten, die „Powerbrille“ nach erfolgreich bestandener Prüfung oder die dunkle Brille der Trauernden oder Kranken) oder übergreifend durch die individuelle Lebensgeschichte eines Menschen. Da die Dinge durch diese Brille in ähnlicher Weise betrachtet werden, bilden sich „kognitiven Grundannahmen“ als Ausdruck dieser Betrachtungsweise. Sie wirken als Schemata auf allen Ebenen der Physiologie eines Menschen, sie prägen seinen Körperausdruck, seine innere und äußere Haltung bis hin zu zentralnervösen Prozessen (z.B. ständig verkrampft, im Streß mit entsprechenden Begleiterscheinungen im Hormonhaushalt, usw.). Auf der Grundlage dieser grundlegenden Überzeugungen ordnet, beurteilt und strukturiert jedes Individuum seine Welt auf eine eher unbewußte Weise. Diese Grundannahmen sind grundlegend verantwortlich dafür, daß in konkreten Situationen ganz bestimmte „automatischer Gedanken“ aufkommen als Ausdruck einer konkreten Bewertung der jeweiligen Situation (siehe Beispiel):

Beispiel: Eltern des Patienten sahen in ihrem einzigen Kind den Stolz der Familie und zeigten es gerne vor. Patient wurde als Kind oft ermahnt, keine Fehler zu machen. Bei jedem Fehler wurde er zurechtgewiesen mit Bemerkungen wie „Du bist aber auch ungeschickt, ein Tölpel“ „Paß doch besser auf!“ „Wenn das Oma sehen würde, wie Du schon wieder ..“. Auf diese Weise entwickelt sich die irrationale Überzeugung. „Ich bin ein Versager“. In einer konkreten Situation entwickeln sich spontan die automatischen Gedanken: „Das schaffe ich nie“ „Ich werde mich blamieren“ mit entsprechender innerer Anspannung, usw.

Ist die Wahrnehmung eines Menschen andauernd und zunehmend in eine bestimmte Richtung verzerrt, können sich aus den kognitiven Grundannahmen auf die aktuelle Situation bezogen „dysfunktionale Kognitionen“ entwickeln, die sich überdauernd zu „irrationale Überzeugungen“ verfestigen können (vergleiche oben Safran-Segal-Scale die Kategorie „Chronizität“). Diese Entwicklung läßt sich als Disposition für die Entwicklung von Depressionen verstehen. In der Depression sind diese Bewertungen in bestimmter Weise verändert: die sowieso schon gefärbte Brille des Betrachters ist bis ins Schwarze verfärbt. Dementsprechend ist die Wahrnehmung und das gesamte Erleben des Depressiven in diese Richtung verzerrt. Er lebt nicht mehr im Konsens zu den ihn umgebenden Mitmenschen, erlebt sich anders als sie, fühlt sich unverstanden und wird tatsächlich von seinen Mitmenschen oft nicht verstanden, weil sie die Dinge nicht durch seine Brille sehen können. Die dadurch entstehenden konkreten Verzerrungen gegenüber der im Konsens erlebten „realen Wahrnehmung“ werden als „kognitive Fehler“ bezeichnet. Sie äußern sich bei depressiven Patienten vorwiegend in folgenden Kategorien:

In Extremen denken:

Patienten sehen gewisse Ereignisse auf extreme Art und Weise. Alles ist entweder schwarz oder weiß, gut oder schlecht, ganz oder gar nicht. Es fehlen die Zwischentöne. Wenn sie z.B. einige alltägliche Probleme haben, denken sie, es wird in einer Katastrophe enden. Sie übertreiben Probleme und möglichen Schaden, den sie verursachen können. Gleichzeitig unterschätzen sie Ihre Fähigkeit, damit fertig zu werden, betrachten sich selbst als „völlig unfähig“. Sie ziehen ohne Beweise Schlußfolgerungen und glauben, Ihre Schlußfolgerungen seien korrekt. Ein Mann, der seine Ersparnisse in ein neues Haus investiert hatte, vermutete, daß das Haus Ungeziefer haben könnte. Er hat unverzüglich die Schlußfolgerung gezogen, daß das Haus zusammenfallen und wertlos sein würde. Er sah sein Geld als verloren und war überzeugt, daß nichts getan werden könne, um das Haus zu retten.

ins Negative Verallgemeinern:

Patienten machen eine weitreichende allgemeine Aussage, die das Negative betont. „Niemand liebt mich.“ „Ich bin ein vollständiger Versager.“ „Ich werde niemals bekommen, was ich im Leben brauche.“

Das Positive ignorieren:

Patienten sind beeindruckt von negativen Dingen und erinnern sich meistens auch nur an die negativen Ereignisse. Als einer depressiven Frau geraten wurde, ein Tagebuch zu führen, bemerkte sie auf einmal, daß sie sehr häufig positive Erlebnisse hatte, denen sie aber vorher keine Beachtung schenken konnte, weil sie die Tendenz hatte, positive Ereignisse zu vergessen oder aber aus dem einen oder anderen Grund für unwichtig zu erklären.

2. Therapie

Im psychotherapeutischen Setting ist das primäre Ziel der Behandlung, die dysfunktionalen Kognitionen und irrationalen Überzeugungen zu verändern und damit eine dauerhafte Vorbeugung depressiver Reaktionen auf erneute Belastungen zu erreichen. Dies läßt sich in unserem Therapiesetting nur sehr begrenzt verwirklichen, zumal unser Auftrag ein anderer ist (siehe oben). Bisher ist noch kein Patient von sich aus mit dem Wunsch nach einer kognitiven Therapie an uns herangetreten. Wie oben bereits beschrieben müssen viele Patienten erst an psychotherapeutische Denkweise herangeführt werden. Insbesondere die jüngeren und geistig rege gebliebenen unter den gerontopsychiatrischen Patienten scheinen dann aber von diesem Ansatz zu profitieren.

Dysfunktionale Kognitionen, die eher auf die aktuelle Situation bezogen und weniger lebensgeschichtlich in der Persönlichkeit verwurzelt sind, können durch ein Selbstverbalisierungstraining oder durch kognitive Umstrukturierung noch relativ schnell zu verändern. Dies betrifft viele der oben angeführten Beispiele oder „Teildiagnosen“ (siehe Tab. 2, Tab. 4).

Die oben beschriebenen kognitiven Fehler scheinen bei Abklingen der depressiven Symptomatik weniger schwerwiegend zu sein, bestehen in abgeschwächter Form aber noch weiter in Form gewohnheitsmäßiger Gedankenstrukturen, die erneutes depressives Erleben begünstigen. Hier schaffen wir es gelegentlich, Patienten sensibel zu machen.

Irrationale Überzeugungen als Produkt einer längeren Lebensgeschichte sind dem Patienten in der Regel nicht direkt zugänglich. Häufig sind es nicht einmal die automatischen Gedanken in einer konkreten Situation. Der therapeutische Weg beginnt daher bei einer Analyse verschiedener konkreter Situationen mit dem Ziel, automatische Gedanken zu identifizieren und den Patienten sensibel zu machen für das Erkennen unpassender, fehlerhafter und unlogischer gedanklicher Interpretationen externaler und internaler Ereignisse. Erst in weiteren Schritten lassen sich aus den automatischen Gedanken die grundlegenden Überzeugungen erschließen und thematisieren. Eine wesentliche Methode in diesem Prozeß ist die „sokratische Gesprächsführung“: der Patient wird durch geschicktes Fragen zu seiner eigenen Lösung hingeführt, er entdeckt selbst, daß seine gewohnte Art zu denken nur eine mögliche Art der Wahrnehmung ist und daß es für die Bewertung eines bestimmten Ereignisses sehr viele andere Interpretationen gibt. Weitere Elemente der Therapie können sein Konfrontationstherapie und suggestive Verfahren. Dies soll hier nicht im einzelnen erläutert werden.

Im Gruppensetting lassen sich konkrete Beispiele sehr gut analysieren, kognitive Fehler identifizieren und die unterschiedlichen Interpretationen der Patienten sammeln. Häufig erreichen wir eine geringe Aufweichung bisher festgefügter Denkgewohnheiten. An eine nachhaltige Veränderung grundlegender Überzeugungen können wir noch nicht glauben.